Coronazeit – Ein Monolog von Miranda Haas

CORONAZEIT

Monolog

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„Wir sehen uns dann nach den Osterferien!“, rufe ich meinen Freundinnen zu und verabschiede mich mit Ellenbogen- und Fußchecks. „Ja, wir können ja noch telefonieren!“, rufen sie zurück und winken mir zu.

Zum Schließfach muss ich nicht mehr gehen, ich habe am Freitag schon alles mitgenommen. Danach war ich noch in der Bibliothek, um mir ein paar Bücher auszuleihen, damit mir in der Coronazeit nicht zu langweilig wird. Das Schulgebäude werde ich jetzt wahrscheinlich für ein paar Wochen nicht mehr sehen, aber ich bin gespannt auf das Homeschooling und wie es ablaufen wird. Wenigstens muss ich nicht mehr jeden Morgen um 6:30 Uhr aufstehen.

Ich setze mich in den Bus.

Meine Oma hat uns neulich selbstgenähte Masken geschickt, in NRW ist jetzt schon Maskenpflicht. Aber in Ulm, im Bus, brauche ich sie noch nicht.

Ich komme an und gehe durch die Tür ins Haus, wo ich ab jetzt die meiste Zeit verbringen werde, und schließe sie hinter mir.

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 -2x2-11x-14>0. Ich starre auf das aufgeschlagene Matheheft vor mir und frage mich, wann ich wohl je wieder nach der Schule quadratische Ungleichungen brauchen werde. Oder, dass Kupferbergbau auf Englisch „copper mining“ heißt. Oder, dass Helene Lange aus einer liberalen Familie der Mittelschicht kam. Die Zahlen verschwimmen vor meinen Augen und ich seufze. Was hat das alles für einen Sinn? Seit fast zwei Monaten sitzen wir nun zu Hause im Lockdown. Anfangs dachte ich noch, dass es nach den Osterferien normal weitergehen würde, aber mittlerweile frage ich mich, ob wir vor den Sommerferien überhaupt noch einmal die Schule von innen sehen werden. 

Ich seufze noch einmal und fühle mich undankbar. Mir geht es viel besser als vielen anderen Menschen im Moment, das weiß ich. Wir haben ein großes Haus mit Garten und ich kann mich in mein Zimmer zurückziehen, wenn ich meine Ruhe haben will. Jede Woche bekomme ich neue Schulaufgaben und ich skype oft mit meinen Freundinnen. Alle in meiner Familie sind gesund und meine Eltern haben keine Probleme mit der Arbeit.

Und trotzdem denke ich oft darüber nach, was wir alles verpassen…

Bald würden wir nach Holland zu unseren Austauschpartnern fahren und würden eine Woche bei ihnen wohnen. Seit Corona habe ich den Kontakt mit meiner Austauschpartnerin verloren. Ich habe ihr noch eine E-Mail geschrieben, aber sie hat mir nicht geantwortet.

Dann muss ich an meine Hobbys denken. Dieses Jahr würde ich zum ersten Mal mit Spitzenschuhen auf der Bühne tanzen und ich hatte mich sehr darauf gefreut, aber die Ballettschulgala ist natürlich auch abgesagt worden. Ich habe schon lange nichts mehr vom Ballett gehört.

Plötzlich erinnere ich mich daran, dass wir früher am Ende des Ballettunterrichts manchmal „Stopptanz“ gespielt haben. So fühlt sich das Leben gerade an: Jemand hat auf die „Pause“-Taste gedrückt und die Welt steht still.

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„Wir sehen uns dann wahrscheinlich nach den Sommerferien!“, rufe ich ihr zu. Irgendwie habe ich gerade ein Déjà-vu. Es ist das Ende der letzten Stunde meiner letzten Präsenzwoche dieses Schuljahr. Wahrscheinlich werden wir am Dienstag vor den Sommerferien noch einmal herkommen, um unsere Zeugnisse abzuholen. Ich glaube nicht, dass sich seit den Halbjahreszeugnissen viel verändert hat. Jetzt bin ich quasi schon in der Neunten! Wir haben zwar noch zwei Wochen Homeschooling, aber selbst die Lehrer sagen, dass das nicht wirklich zählt.

Vor ungefähr vier Monaten habe ich mich ebenfalls von meinen Mitschülern verabschiedet. Viele von ihnen habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Damals war es der Anfang der Homeschooling-Zeit und ich hoffe, dass dies das Ende ist.

Ich schreibe für mich selbst eine kleine Nachricht ins Schließfach: „Hallo 9a!“. Niemand weiß, wann ich es wieder benutzen werde, aber ich hoffe von ganzem Herzen, dass es nächstes Schuljahr wieder einigermaßen normal weitergeht.

Im Bus brauche ich diesmal die Maske, aber ich bin schon daran gewöhnt.

Während ich mir zu Hause 30 Sekunden die Hände einseife, frage ich meine Mutter, wie es mit dem Sommer aussieht. Wir sind uns noch nicht ganz sicher, ob wir dieses Jahr nach Griechenland zu unserer Familie fliegen sollen, aber wir versuchen, optimistisch zu bleiben.

Die Zukunft kennt keiner, wir können nur hoffen. Wir werden sehen, wie es weitergeht. Aber eins habe ich in der Coronazeit gelernt: Man darf niemals aufhören, zu leben.

Miranda Haas, 8a